1986 Die „Blechbaracke“, das Übergangsquartier des Vermessungsamtes in der Amberger Straße, sollte ei- gentlich aufgelöst werden. Die Nachbarn freuten sich schon auf freie Sicht vor ihren Häusern. Aber eine Asylunterkunft wurde eröffnet, nahe der Gegend, wo 1944 das Außenlager des KZ Flossenbürg war. Dadurch entstand eine politische Sensibilität für das Vorhaben der Regierung. Enttäuschung, Ängste und Sorgen der Einwohner waren groß.
Im März 1987 zogen 60 Asylbewerber, Männer zwischen 17 und 57 Jahren, in die Unterkunft. Schnell bildete sich ein Kreis von Unterstützern und Unterstützerinnen. Es war die Zeit des Iran-Irak-Krieges. Es gab auch Verfolgungen in Pakistan, in Kashmir, im Türkei-Kurden-Gebiet, in China und in Mauritius. Wenn Männer wegzogen, kamen wieder neue in das Heim. Ein Büro für den Hausmeister der Bezirksregierung war vorhanden.
Die Helfer und Helferinnen sorgten für guten Kontakt mit den Einwohnern von Hersbruck, und mit der Stadtverwaltung (die VHS unterstützte mit Deutschförderung), mit Ärzten und Behörden. Alles, was mit Asylgesetzen zu tun hatte, war uns noch nicht bekannt. Die Hilfe im Alltagsleben war wichtig, besonders bei Briefen von Behörden, die nur in Deutsch abgefasst waren. Mit Englisch und gesuchten Dolmetschern kamen wir zurecht. Das gegenseitige Vertrauen entwickelte sich v.a. durch politisches Verständnis. In unserer Gesellschaft ist man leicht zu humanitärer Hilfe bereit, aber nicht zu Respekt und der Einsicht, dass Flüchtlinge, die sich integrieren wollen, ähnliche Lebensbedingungen wie die Einheimischen brauchen. Es gab gelieferte Lebensmittel, Sachgutscheine für Kleidung und ca. 30 DM Taschengeld (für Post, Telefonieren, Fahrten und persönlichen Bedarf). Handys gab es in den ersten Jahren noch nicht. Das Telefonieren und mögliche Rückrufe bedeuteten eine große nervliche Belastung in der Nacht an Telefonhäuschen. Die Residenzpflicht – niemand durfte nach Nürnberg– machte das Leben noch schwerer.
Nach einiger Zeit wurde ein Dauersozialdienst nötig, den Marianne Ermann ehrenamtlich übernahm, immer in der Hoffnung, dass ein freier Verband sich engagieren würde, wie wir es von größeren Städten her gewohnt waren. Erst später wurde klar, dass nicht daran gedacht wurde, Unterkünfte, die weniger als 100 Bewohner hatten, mit Sozialberatung zu versorgen. Die Hersbrucker Unterkunft hatte nur 60 Bewohner. Vor Hunger, Kälte und Krankheit waren die Geflüchteten geschützt, aber für Traumata und psychischen Dauerstress durch den Druck der Asylsituation gab es wenig Verständnis. Die Unerreichbarkeit und Ungewissheit, ob Familien und Freunde noch am Leben sind, und Ungereimtheiten in der Rechtslage waren schwer zu ertragen. Die Entscheidungen dauerten oft 3 Jahre. Manche Menschen gerieten in Existenzangst und seelische Gelähmtheit. Manche konnten sie Jahre später mit Arbeit und Familienleben überwinden.
1990 waren über 600 Menschen im Landkreis zu betreuen. Es war die Zeit des Balkankrieges. Viele Flüchtlinge kamen aus dem Kosovo. In der Hersbrucker Region waren Asylunterkünfte in Hersbruck, Hohenstadt, Pommelsbrunn, Vorra, Lungsdorf, Rupprechtstegen, Hormersdorf und Treuf, die meist in aufgelassenen Gaststätten eingerichtet wurden. Zu vielen Notfällen wurde M. Ermann von Nachbarn der Unterkünfte, von der Polizei, von Ärzten, von Lehrern gerufen. Es gab oft desolate, menschenunwürdige Zustände, die man nur in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt lindern konnte.
1996 Auch Flüchtlinge aus Pakistan, der Türkei, der Mongolei, aus Vietnam, aus Russland und Weißrussland lebten bei uns. In Hohenstadt, im Gelben Haus, wohnten eine Zeit lang über 20 Kinder, so auch in Hormersdorf. Mit Hilfe von Freunden konnten wir kleine kulturelle Events organisieren, z.B. Kochen und Ausflüge. Sprachkurse, Hausaufgabenhilfe, therapeutisches Malen und psychosoziale Gespräche konnten durchgeführt werden.
Mit Abschiebungen, Kriegstraumata und Existenzangst wurden Flüchtlinge und Helfer beschwert. Mit über 800 Asylsuchenden hatten wir Kontakt. Die Unterstützung von Regierung, Landratsamt, Kirchen war völlig unzureichend. Hilfe für alle war 1998 finanziell und personell nicht mehr zu schaffen.
Die Vereinsgründung
1998 wurde der Ökumenische Verein für Flüchtlinge und Asylsuchende gegründet. Die Gründungsmitglieder wollten aus christlicher und gesellschaftlicher Verantwortung handeln. Durch den Verein war es möglich, Mitglieder zu werben, die die Arbeit ideell und finanziell unterstützten, Spenden zu erhalten, sich um Preise zu bewerben und in der Öffentlichkeit und bei Behörden eine Rolle zu spielen.
Das Büro und das Telefon des Vereins waren in der Küche von Gründungsmitglied Marianne Ermann – Zivildienstleistende halfen.
2001 gab es ein großes Frühjahrsfest im Nikolaus-Selnecker-Haus, vor und in der Stadtkirche. Auch die ökumenischen Gemeindefeste gaben immer Gelegenheit zum Mitfeiern.
2002 brannte die Unterkunft Amberger Str. 100 ab. Die Baracke war total heruntergekommen und die elektrischen Leitungen durchzogen den ganzen Untergrund. Als das Feuer ausbrach, war mit Hilfe der Stadt schnell ein Raum zur Übernachtung gefunden, aber der Schreck wegen der fehlenden Papiere, Ausweise, Briefe und Telefonnummern war groß. Alle Männer kamen in andere Unterkünfte.
Die Mitarbeiterinnen bekamen aus der Bevölkerung beides zu spüren: freundliche Unterstützung und An- erkennung und sehr verachtende Kommentare.
2003 zog das Büro des Vereins in die Happurger Straße und bekam Hilfe durch einen Mitarbeiter mit Minijob.
2004 konnte ein Inlandsprojekt des Weltgebetstages in Lauf in der Bertleinschule durchgeführt werden: „Mama spricht auch Deutsch“. Später übernahm die Stadt Lauf diesen Deutschkurs für Frauen mit Kleinkindern.
2006 Die Arbeit des Vereins im Bonhoeffer-Haus wurde eingestellt, der neu eröffnete Migrationsdienst für alle Migranten mit Bleiberecht zog ein. In der Hersbrucker Gegend lebten viele Flüchtlinge, die in Privatwohnungen ansässig wurden und noch neben dem Migrationsdienst unsere Hilfe brauchten. Es gab fast keine Asylbewerber mehr.
Als Hilfe für Flüchtlinge in Privatwohnungen war wieder Büro Ermann zur Verfügung und dreimal in der Woche gab es Hausaufgabenhilfe im Hause Ermann mit vielen Ehrenamtlichen und Praktikanten.
2008 wurde der Name des Vereins ergänzt mit dem Zusatz „...und Migration“.
Ab 2013 kam wieder Asylarbeit dazu, v.a. wegen irakischer und syrischer Flüchtlinge. Zuerst gab es Unterkunft am Kunigundenberg in Lauf, dann weitere Asylunterkünfte: Gersdorf, Rupprechtstegen, Hohenstadt, Lauf, Hubmersberg, Neuhaus, Schnaittach und Hersbruck. Das Büro war noch immer in der Küche von Ermanns.
Im Herbst 2013 begann das Diakonische Werk mit der Asylsozialberatung und kooperierte mit dem Verein.
2015 Die Hausaufgabenhilfe für einheimische und zugereiste Schüler zwischen 6 und 19 Jahren wurde beendet. Der Verein hätte sich auflösen können, wenn nicht die neue Flüchtlingssituation durch den Syrienkrieg entstanden wäre.
Der Verein begleitete zwei syrische Männer sechs Monate im Kirchenasyl in Hersbruck.
Verschiedene Deutschkurse wurden angeboten. Unser Augenmerk lag auf der unsäglichen Situation mitgelieferten gekochten Mahlzeiten. Die Firmen gaben sich alle Mühe, kochten aber oft viel zu aufwändig und nicht das, was die Flüchtlinge tatsächlich brauchten. Ein Gefühl von Entmündigung und dann auch Krankheiten waren das Ergebnis. Was für ein Fortschritt, als sich die Menschen wieder selbst versorgen konnten! Die Mitarbeiterinnen des Vereins kümmerten sich immer mehr um Flüchtlinge, die mit Aufenthaltsstatus in Privatwohnungen ziehen konnten.
Gründung der Begegnungsstätte "KOMM"
2016 wurde die Einrichtung "KOMM" gegründet und in den Räumen der Prager Str. 24 bezogen. Der Verein hatte nun wieder ein Büro und arbeitete an der Idee eines interkulturellenTreffpunkts mitten in der Stadt.
2018 Frau Jungbauer bzw. seit 2021 Frau Lemmes lösten Frau Ermann als Leiterin des KOMM mit einer Teilzeitstelle ab. Frau Wick, Kinderbetreuung, Frau Aklan und Frau Kartal, Dolmetscherinnen und Helferinnen bei allem, gehören zum bezahlten Team. Viele Aktivitäten sind nur mit den Ehrenamtlichen möglich, die nie genug sind.
Die Mitglieder des Vereins blicken über eine lange Zeit zurück, nicht nur vereinsmäßig, sondern wir konnten beobachten, dass sich viele Geflüchtete bei uns integriert, Arbeit gefunden und Familien gegründet haben und die Kinder und Jugendlichen schon nicht mehr wissen, in welcher Lage sich die Eltern befunden hatten. Die Erwachsenen sprechen oft immer noch nicht gut Deutsch, aber die Kinder fühlen sich zweisprachig zuhause. Wir können auch beobachten, dass sich die Einheimischen an die neuen Nachbarn gewöhnt haben und oft nachbarschaftlich verbunden sind.
Wir sind froh, dass sich die Lebensbedingungen verbessert haben und sind darauf aus, dass sie nicht aus politischen und inhumanen Gründen wieder zerstört werden. Wir wollen nach wie vor humanitäre Hilfe leisten und unterstützen alles, was zur Integration beiträgt.
Sehr wichtig in den 20 Jahren Asylarbeit war uns diese Zweigleisigkeit: die eine Schiene die humanitäre Hilfe, die zweite das gesellschaftspolitische Einbringen.